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[text] Korpys/Löffler [1]

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Korpys/Löffler : »Konspiratives Wohnprojekt«, 1998

von Sigrid Sternebeck

Wohnungssuche bzw. -findung liefen unter dem entscheidenden Kriterium: Sicherheit.
Das entsprechende Haus, in dem wir eine Wohnung mieteten, musste ein unauffälliges Rein und Raus diverser Leute garantieren. Nachbarschaftliche Anonymität war zwingend. Punkt 2 und 3 auf der Checkliste: die Verkehrsanbindung und das Wohnungs-vis-a-vis. Vor Beobachtung durch die Fenster mussten wir sicher sein.
Alles sprach für Hochhäuser oder Wohnanlagen. Sie boten optimale Bedingungen.

Wünsche und Vorstellungen einer normalen Wohnungssuche wie ein Sich-Wohlfühlen-Wollen, schöner Garten, Balkon oder nette Nachbarn existierten nicht. Der Begriff Wünsche war durch Funktionalität ersetzt. Funktional waren z.B. Hochhäuser mit mehreren Fahr- stühlen. Wem konnte dort eine bestimmte Wohnung zugeordnet werden? Eine böse Überraschung erlebten wir bei einer Besichtigung. Zur »Sicherheit der Bewohner vor terroristischen Anschlägen« [O-Ton Makler] waren die Hauseingänge mit Video-Kameras ausgestattet - damals eine Neuheit. Danke für diesen Hinweis!

DAS COVER
Der Flur hinter der Wohnungstür musste Seriosität ausstrahlen. Garderobe, Spiegel Läufer, ein Regenschirm, dazu ein kleines Bild oder Poster für den persönlichen Touch - fertig.

Am wichtigsten für das scheinbar normale Beziehen einer Wohnung: die Gardinen, sprich Store und Übergardine. Sie signalisierten nach aussen ultimativ: Wohnung bezogen von anständigen Bürgern weil weisse Stores. Die Improvisation des illegalen Lebens machte vor der Gardine nicht halt. Sie wurde nicht umgenäht, sondern auf Länge getackert, später als Weiterentwicklung mit Pattex umsäumt. Es ging schneller und sah besser aus. Haltbarkeit und Waschfähigkeit interessierten nicht, das Benutzen einer Wohnung war von kurzer Dauer.

Der klassische Wohnzimmerbereich mit Couchtisch und Sesseln sowie Regalen war praktisch und konnte einem eventuellen Kontroll- Besuch des Vermieters standhalten. Stapelbare Matratzen mit einer Decke darüber ergänzten es um eine Liegefläche, mit Kissen auch als Sofa zu verwenden. Das gut getarnte Schlafzimmer für mehrere Personen ist startklar. Besonders empfehlenswert bei 1-Zimmer-Appartements.

MÖBLIERT
Eine möblierte Wohnung zu mieten, war ein schönes Ziel. Alle obigen Einrichtungsarbeiten konnten wir uns sparen und die Möbel nach unseren Erfordernissen verrücken. Schreib- und Handwerksecken wurden eingerichtet, ein kostbarer Läufer eingerollt. Gardinen mußten verstärkt werden, sie waren nicht blickdicht.

In einer perfekt ausgestatteten Küche zu agieren, war auch mal schön. Illegale wollen schon mal was Selbstgekochtes essen.

Als wir diese Wohnung voll in Besitz genommen hatten, kündigte sich die Eigentümerin für einen kurzen Besuch an. Sie wollte sich überzeugen, daß ihre Wohnung plus Einrichtung in guten Händen war. Wir waren gezwungen, innerhalb von zwei Tagen die Wohnung in den ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen! Also wurde geräumt, geputzt, renoviert. Die Abstellkammer mußte von einigen verdächtigen Gegenständen gesäubert werden, Handwerkszeug verschwand. Die gesamte Dunkelkammer wurde wieder eingepackt. Für den abwesenden Mieter mußte noch eine Verlobte installiert werden.

Der Kontrolltag brach an, wir hatten geschuftet und alles gerichtet, da klingelte das Telefon: bei der Vermieterin sei Glatteis, sie könne auf keinen Fall kommen! Sie hat sich nie wieder gemeldet.

HO CHI MINH
Die Illegalität barg ganz spezielle Gefahren. Eine sparsam möblierte Altbauwohnung hatte arg knarrenden Holzfussboden. Da offiziell höchstens zwei Leute dort »wohnten«, aber immer mehr anwesend waren, hatten wir Not, uns in der Wohnung zu bewegen. Wir wollten auf keinen Fall die anderen Mieter auf uns aufmerksam machen. Gänge zur Küche und zum Klo lassen sich schlecht vermeiden, was also tun?
Dielen knarren bekanntlich nicht überall gleich. Dank emsigen Herumschleichens auf immer neuen Wegen durch die Wohnung hatten wir endlich unseren fast lautlosen und ganz persönlichen Ho-Chi-Minh-Pfad gefunden!

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